Basale fachliche Kompetenzen für allgemeine Studierfähigkeit

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Momentan läuft eine Anhörung zu einem Bericht zuhanden der EDK, in dem basale Kompetenzen für die allgemeine Studierfähigkeit in Mathematik und Erstsprache diskutiert und vorgeschlagen werden. Im Folgenden werde ich zentrale Aussagen zusammenfassen, die wesentlichen Kompetenzen und Konsequenzen auflisten und die Texte verlinken, mit denen diese Kompetenzen getestet werden können. Ein kurzer Kommentar schließt den Beitrag ab. Ich zitiere sowohl die kurze (KB) wie auch die ausführliche Version der Berichte.

Zentrale Aussagen aus dem Bericht

(1) Basale Kompetenzen sind nicht allein im gymnasialen Deutschunterricht zu erwerben:

Im Interesse der Vermittlung gut verankerter und an diversen Gegenständen erprobter basaler erstsprachlicher Kompetenzen für allgemeine Studierfähigkeit bedarf es einer interdisziplinären Zusammenarbeit aller gymnasialen Fächer. (S. 159)

(2) Die Kompetenzen sind im Fach Deutsch nur allgemein und ohne direkte Bindung an Inhalte zu formulieren:

Die einzelnen Kompetenzen sind durchgängig […] immer relativ unspezifisch gehalten und nicht an Detailinhalte gebunden. Sie mussten auf möglichst alle Arten von (mündlichen oder schriftlichen) Texten anwendbar sein, die in den verschiedenen Studienrichtungen vorkommen. (KB, S. 14)

(3) Die einzelnen Studiengänge unterscheiden sich nicht in Bezug auf den Umfang der Kompetenzen, vielmehr sind die Ansprüche differenziert zu unterscheiden:

Es hat sich […] gezeigt, dass etwa die Fächer in Gruppe B1 [Kommunikations-/Rechtswissenschaften, Architektur] ähnlich hohe Anforderungen stellen oder dass z. B. die Ansprüche an das Memorieren grosser Stoffmengen und das Umgehen mit einer speziellen Fachterminologie in Gruppe [Biowissenschaften] besonders hoch sind. Die verschiedenen Studiengangsgruppen unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der Textsorten und überhaupt der Art des „Materials“, das im ersten Jahr zu rezipieren ist; dies bestimmt weitgehend, welche Teilfähigkeiten der Hauptkompetenzen „Zuhören“ oder „Lesen“ jeweils eingesetzt werden müssen.  (KB, S. 14)

(4) Die am breitesten gebrauchten Kompetenzen sind rezeptiver Art, produktive Kompetenzen spielen aber in einigen Studienfächern eine entscheidende Rolle:

Es geht immer darum, Zugang zu einem mündlichen oder schriftlichen Text (wie z. B. einem Vortrag, einem wissenschaftlichen Aufsatz oder einem Lehrbuchtext) zu erhalten, seinen Inhalt und seine Bedeutung für die eigene Lernsituation einzuschätzen und die enthaltenen Informationen möglichst wirksam zu verarbeiten. (S. 148)

(5) Die basalen Studierfähigkeiten sind literale Kompetenzen, d.h. sie beziehen sich auf die Form des Wissenserwerbs und der Wissenswiedergabe. Diese ist deshalb bedeutsam, weil sie

  1. das Lesen und Schreiben mit dem Lernen im Fachunterricht verbinde (und damit fächerübergreifend konzipiert sei), und weil sie
  2. eng mit einem Konzept der Textkompetenz verbunden sei, das von einer schulischen Kommunikation ausgehe, die „auch da, wo sie medial mündlich verläuft, konzeptionell die Merkmale der Schriftlichkeit hat“ (S 141f., mit Bezug auf einen Aufsatz von Roger Hofer, in: ebd., S. 262-274).

(6) Zentrale und standardisierte Tests sind ausgeschlossen (KB, S. 19).

Kompetenzen

Texte sind im folgenden immer in schriftlicher und oder mündlicher Form zu verstehen. Die Kompetenzen stehen im Bericht auf den Seiten 150ff. und werden dort kommentiert; ein Auszug kann hier als pdf geladen werden.

  1. Textrezeption:
    a) Aktiv zuhören und einem längeren Vortrag/Beitrag inhaltlich folgen können
    b) Notizen zu schriftlichen und mündlichen Texten machen können

    c) Die Thematik eines Textes erkennen können 
    d) Den Aufbau und die Argumentation eines Textes erkennen können 
    e) Texte interpretieren können 
  2. Textproduktion:
    a) Texte planen und strukturieren können 
    b) Texte inhaltlich anreichern können mithilfe quellenkritischer Stoffsammlungen/Recherchen 
    c) Texte effizient und systematisch verschriftlichen können 
    d) Texte überarbeiten und formal wie inhaltlich optimieren können 
  3. Sprachliche Bewusstheit
    a) Beherrschen des sprachlichen Regelsystems
    b) Aktive Gestaltung und Reflexion von Kommunikationssituationen und Texten

Konsequenzen

Das Team hinter dem Bericht und der Leitung von Franz Eberle fordert (vgl. KB, S. 19ff.):

  • Verortung der Kompetenzen in disziplinären und interdisziplinären Lehrplänen
  • Schaffung von Stützunterricht
  • zielorientierten (bzw. kompetenzorientierten) Unterricht
  • Note 4, wenn die Ziele erreicht werden
  • vermehrte Behandlung von Sachtexten
  • stärkere Arbeit an Begrifflichkeit und formalen Merkmalen von Sprache
  • Textproduktion und -rezeption im Zusammenspiel einüben
  • Schreibcoaching, besonders bei propädeutischen Arbeiten

Beispieltexte

Alle Beispiele enthalten Verständnisfragen und Lösungen zu den Fragen.

  1. Gottfried Schatz (2013/2008):  Das große Würfelspiel. Wie sexuelle Fortpflanzung uns Individualität schenkt
  2. Peter Bieri (2008): Bildung beginnt mit Neugierde
  3. Wolf Linder/Daniel Schwarz (2008): Das schweizerische Zweikammersystem
  4. Peter von Matt (2010): Der Dialekt als Sprache des Herzens? Pardon, das ist Kitsch!

Kommentar

Ich halte die Kompetenzen für sinnvoll und durchdacht. Die Methodik des Teams überzeugt – auch die daraus resultierenden Forderung. Der Deutschunterricht am Gymnasium darf sich nicht an Bedürfnissen zukünftiger Studierender der Geisteswissenschaften ausrichten – darf aber die Vermittlung von kulturwissenschaftlichen Konzepten aufgrund der beiden Bildungsziele des Gymnasiums auch nicht vernachlässigen.

Deshalb wäre die logische Folgerung aus der Diskussion über Basiskompetenzen die Einführung von Vertiefungsfächern in der Erstsprache. Der Unterricht in den Grundlagenfächern könnte von entsprechenden literatur- oder linguistikorientierten Schwerpunkt- und Ergänzungsfächern abgegrenzt und stärker auf basale Studierfähigkeiten ausgerichtet werden. (Gleichzeitig darf nicht vergessen werden, dass Literatur für viele der erwähnten Kompetenzen eine ideale Lernumgebung darstellt.)