Nutzlose Bildung – ein Missverständnis

Die Einleitung von Peter Bieris Bildungsrede ist schon fast kanonisch geworden, wenn es um die Abgrenzung zur Ausbildung geht:

Bildung ist etwas, das Menschen mit sich und für sich machen: Man bildet sich. Ausbilden können uns andere, bilden kann sich jeder nur selbst. Das ist kein blosses Wortspiel. Sich zu bilden, ist tatsächlich etwas ganz anderes, als ausgebildet zu werden. Eine Ausbildung durchlaufen wir mit dem Ziel, etwas zu können. Wenn wir uns dagegen bilden, arbeiten wir daran, etwas zu werden – wir streben danach, auf eine bestimmte Art und Weise in der Welt zu sein.

Wenn nun beispielsweise über den Kompetenzbegriff diskutiert wird oder der Vorwurf laut wird, bestimmte Schulfächer seien für Lernende von geringem Nutzen, tappen Lehrkräfte an Gymnasien oft in diese von Bieri gestellte Falle. Die Geisteswissenschaften sind besonders gefährdet. Gerade die Nutzlosigkeit sei es, die den Wert schulischer Bildung ausmache, wird dann schnell behauptet. Die Verwertbarkeit sei der Bildung feindlich, die Kompetenzorientierung das geistige Kind wirtschaftlicher Ansprüche ans schulische Lernen.

Größere Genauigkeit in diesen Fragen lohnt sich. Lese ich mit einer Klasse einen Roman, dann muss ich angeben, welche Lernprozesse dabei angestoßen werden. Ich muss mir als Lehrer Ziele setzen, überprüfen, ob die erreicht worden sind und letztlich immer Kompetenzen ausbilden – das bedeutet weder eine enge Vermittlung von Wissen oder eine Beschränkung auf wirtschaftlich nutzbare Fertigkeiten. Vielmehr implizieren Kompetenzen, dass die Schule das nicht leisten kann, was Bieri dem Begriff der Bildung zuschreibt. Sie sei, so sagt er selbst, »ein Wert in sich, wie die Liebe«. Die Schule kann Vorstellungen von Liebe reflektieren und den Anlass geben, dass Lernende eigene ausbilden: Aber Liebe machen kann sie nicht. Genau so wenig wie Bildung. »Bilden kann sich jeder nur selbst«, sagt Bieri und hat damit recht.

Sich also als Lehrkraft auf die Behauptung zu versteifen, man sei halt der Bildung verpflichtet, nicht der Ausbildung, ist letztlich eine Leugnung des schulischen Kontextes, in dem man steckt. Schule kann nur Kompetenzen ausbilden – die Frage ist nur, um welche Kompetenzen es geht.

Andreas Pfister hat kürzlich über die Verwertbarkeit von Geisteswissenschaften Folgendes geschrieben:

Gerade die Geisteswissenschaften haben einen viel weiteren Horizont als die aktuelle Verwertbarkeit. Sie müssen nicht genau zur wirtschaftlichen Nachfrage passen, sie haben eigene Ziele. Dass es gerade diese Diskrepanz ist, diese vermeintliche Nutzlosigkeit, welche wiederum zu Innovation und Flexibilität für die Zukunft führt, ist eine schöne utilitaristische Pointe.

Damit hat er recht. Bezeichnenderweise spricht er nicht von Nutzlosigkeit, sondern von »vermeintlicher Nutzlosigkeit«. Die Geisteswissenschaften leisten viele wichtige Ausbildungsbeiträge und befördern entscheidende Kompetenzen. Wer sich davon abgrenzen will, dass nur ökonomische Ansprüche die Schule bestimmen, sollte deshalb nicht in die Ausflucht verfallen, Geisteswissenschaften drehten halt zum Glück im Leeren, sondern klar benennen, was sie leisten.

Sabine Anselm hat in einem Beitrag zur Werteerziehung durch Literaturunterricht ein Beispiel dafür geliefert, dass das höchst differenzierte Überlegungen erfordert. Diese sind aber Lehrpersonen am Gymnasium zuzumuten. Wenn der politische Imperativ für das Sparen bei der schulischen und universitären Bildung gehaltvollen Widerstand erfahren soll, braucht es solche Abgrenzungen zwischen komplexen und einfachen Kompetenzen häufiger und in breiteren Diskussionen:

Dies bedeutet für den Bereich der Werteerziehung, dass es in der Schule weniger nur um die Beschäftigung mit harten Fakten geht, sondern vor allem um ethische Kommunikation im Unterricht. Statt einer »Wertevermittlung« werden Begründungen für Werte thematisiert und reflektiert. Die Schüler sollen lernen, die Maßstäbe, die angelegt werden, zu bewerten. Daraus resultiert zum einen ein Paradoxon der Werteerziehung, das darin besteht, dass man zum Wert der »Problematisierung von Werten« erziehen will. Zum anderen gilt es, ein grundsätzliches Dilemma zu reflektieren, damit Werteerziehung nicht als Remedium gegen Pluralismus verstanden wird. Zu fragen ist, wie man in, mit und unter den Bedingungen einer pluralen Gesellschaft nicht in Beliebigkeit endet, ohne aber die Pluralität zu beseitigen. Es gilt darum, die Lernenden anzuleiten, Werte zu bilden, damit sie sich in einer pluralen Welt, in der alle Werte gleich gültig sind, nicht in der Gleichgültigkeit verlieren.

(Diese Überlegungen wurden von Bob Blumes Essay »Ein Satz Bildung« angestoßen. Theo Byland hat sie ausführlich kommentiert.)